Lieber Wanderer,
geh doch mal nach Limerick oder in die sogenannten Dublin Areas de Risco Tallaght, Clondalkin oder Ballyfermot. Dort wird dir geholfen.
Über die Deutschen schreibst du folgendes:
"Ein Volk sucht nach Gelassenheit. Ist es die allgemeine Unsicherheit, die Angst vor der Zukunft, vor Krieg, Klimakollaps, Artensterben, Nahrungsmangel, vor Inflation, sozialem Abstieg, Arbeitslosigkeit und Kälte, die sich in Wutausbrüchen und emotionalen Eruptionen Bahn bricht? Ich mache mir Sorgen."
Ja Wanderer, ich mache mir auch Sorgen darüber, wie ich die nächste Gasrechnung bezahlen soll. Meine Stimmung schwankt täglich zwischen Optimismus und Depression. Manchmal fühle ich mich auch wie ein Fremder im eigenen Land, welches nun von einer Minderheit durchgeknallter Ökofaschisten regiert wird, einer Bande von Idioten, die täglich für Spaß und gute Laune sorgen (würden Böse Zungen behaupten). Deshalb sind ja auch alle so gut drauf hierzulande. Die Mülltrennung beherrsche ich jedoch nach wie vor. Vergessen sind die Zeiten in Irland, wo es keine Mülltrennung oder Flaschenpfand gab. Wo Leute ihren Müll einfach in der Gegend entsorgten, weil sie vor ihrem Haus keine Mülltonnen stehen hatten, wie z.B. die Traveller, einer Minderheit in Irland, die gegen Ausgrenzung und Rassismus zu kämpfen hat. Diese armen Menschen schmeißen ihren Müll einfach über die Mauer hinter dem Haus, in die dahinterliegende Peripherie. Darunter auch tote Hundewelpen. Damals suchte ich vergebens nach Gelassenheit, als ich das alles mit eigenen Augen sah und miterleben durfte, wie das zuständige Council ein- oder zwei mal im Jahr den ganzen Scheiß wegräumte, ohne dass die armen Traveller dafür zur Rechenschaft gezogen wurden. Schließlich sind sie eine geschützte Spezies, die zur Irish Heritage gehört. Die Zeche dafür zahlen ganz normal sterbliche Iren, in Form von Steuern und Abgaben.
Ja und der Straßenverkehr in Deutschland: Stress pur! Eine Katastrophe. In Irland fährt man dagegen gelassener, ohne emotional zu kollabieren. Vor allem mit 3,0 Promille Alkohol im Blut auf Straßen, die seit der großen Hungersnot nicht mehr instand gesetzt wurden. Die Iren haben auch eine besondere Art Auto zu fahren, die mich immer an meine allererste Fahrstunde erinnert, als ich das Gas- mit dem Bremspedal verwechselte und nicht wusste, wie die Kupplung funktioniert. Aber hey, die Iren bleiben da ganz leicht und locker, die Garda auch.
Last but not least das Bild mit dem Hinweisschild "Privatgelände! Unbefugten ist das Betrete der Anlage nicht gestattet. Der Eigentümer", welches du in deiner alten Heimat fotografiert hast. So etwas gibet in Irland nicht oder eher selten. Stattdessen gibt es dort unendlich viele Mauern und Zäune, die ich so noch nirgendwo gesehen habe. Beware of the Bull! steht da manchmal, als Warnung für diejenigen, die es wagen darüber zu klettern, um privates Farmland zu betreten, wo es so gut wie keine Rinder, Schafe oder Pferde mehr gibt und das Gras nur so vor sich hin fault. Wozu auch, wenn die EU einem Geld dafür zahlt, dass man als Farmer nichts mehr tut. Ich habe damals den Eignungstest bestanden, bin über alle Mauern und Zäune gestiegen. Dadurch habe ich Gegenden entdeckt, die einem Normalsterblichen, der tagaus tagein auf der Landstraße spazieren geht und um sein Leben fürchten muss, verborgen bleiben (wobei wir wieder bei den irischen Autofahrern wären).
Ach ja: die Grußformen. Ich vermisse das lockere chatten der Iren. Ehrlich. Die regionalen Grußformen wurden mir erst nach und nach vertraut. Eine ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Whale Oil Beef Hooked! Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, was damit gemeint war. Oder die von Frauen mit Betonung auf der ersten Silbe und mit immer gleicher, hoher Kopfstimme geflöteten "gorgeous!", bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Lieber Wanderer, warum hast du dich denn nicht bei mir gemeldet? Ich hätte dich gerne an die Hand genommen und dir deine alte Heimat gezeigt, mit ihren neuen Sitten und Gebräuchen. Hier findet gerade eine Kulturrevolution statt. Schließlich bin ich jeden Tag dort draußen und stell dir vor, man glaubt es kaum: ich lebe noch! Also beim nächsten mal meldest du dich. Damit du dich nicht mehr wie ein Fremder im eigenen Land fühlst, sondern bunt, tolerant und alternativlos.
Fühl dich gedrückt und grüß mir auch deine Fans, allen voran Stephan. Er soll sich ebenfalls bei mir melden. Bis dahin ein Kreppel?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.