Dienstag, 23. Mai 2023

Leben und Sterben in der freien Natur

Ab und an schnappe ich mein Zelt und fahre irgendwo hin, raus in die Natur. Weg aus der Stadt. So auch vor zwei Wochen, hin zu meinem Lieblingscampingplatz Oase der Ruhe, in Gronau/Bensheim. Es hat zwar die ganze Woche durchgeregnet, aber das war mir relativ Wurscht. Ich hatte es schön warm und kuschelig in meinem Zelt und Lua, meine alte Hundelady, ebenso. Während den Trockenperioden machte ich Straßenmusik in der Gegend, ging spazieren und genoss die Ruhe. Dabei kam mir so einiges in den Sinn.

Ich denke, dass wir alle ziemlich abgekoppelt sind von der Natur und dass wir eine geradezu pervertiert verdrehte Vorstellung davon haben, wie es in der freien Natur zugeht. Ich rede jetzt nicht von kuscheligen Campingplätzen, sondern von der Wildnis. Freie Natur = Wildnis. Ich meine eine Gegend wie Sibirien oder das nördliche Kanada, wo es keine Straßen gibt und wo man nur mit dem Hubschrauber hinkommt, weil kein Flugzeug dort landen kann. Ich rede von absoluter Einsamkeit, Überlebenskampf, Hunger und Durst, Krankheiten, Raubtieren und Tod. Gebiete, die Tabu sind, wo nicht mal die Einheimischen hingehen, weil es dort etwas gibt, das man nicht erklären kann. Etwas, das einen umbringt. Die meisten von uns haben so etwas noch nie gesehen, gespürt oder am eigenen Leib erfahren und werden es auch nie. Wofür wir, verdammt Nochmal, dankbar sein sollten. Wir sollten dankbar sein für unseren Wohlstand, die relative Sicherheit und den Komfort.

Seit es die Menschheit gibt, haben Menschen ihren Lebensraum der Natur abgetrotzt, Lebensraum erkämpft und erobert. Die Natur ist wunderschön, aber vor allem ist sie grausam. Wir sehen z.B. einen Bericht über die afrikanische Savanne, der dort lebenden Tiere und denken, och wie schön. Ist es auch. Was wir nicht sehen ist das tägliche Leben und Sterben, die Tragödien, die sich dort jeden Tag aufs neue abspielen. Wollen wir auch nicht sehen. Wir sehen nur das, was uns gefällt, und romantisieren/glorifizieren es in unserer Vorstellung. Es ist eine Sache, ob ich hier zuhause im Wald spazieren gehe und vor mich hin träume. Eine andere Sache ist, wenn ich das Gleiche im Yukon Territory, im nordwestlichen Kanada tue, sofern ich da überhaupt hinkomme. Ein verträumter Spaziergang könnte dort mein letzter sein. So erging es einer amerikanischen Mutter und ihrem Baby, die in der Nähe ihres Ferienhauses einem tollwütigem Schwarzbären zum Opfer fielen. Beispiele gibt es genug. Ich will nur ein paar aufzählen.

Was ich aufzählen möchte sind Absurditäten, und ja, ich sehe hier Absurditäten, weil wenn wir einen natürlichen Bezug zur Natur und ihren Gefahren hätten, wären all diese Leute noch am leben. Die Natur hat Zähne.

Der populärste Fall ist wohl der von Chris McCandless, der mit minimaler Ausrüstung zunächst durch die Vereinigten Staaten und später bis nach Alaska zog. Am Ende wurde er krank, war geschwächt und völlig auf sich allein gestellt. Chris McCandless verhungerte abseits der Zivilisation, möglicherweise auch Aufgrund von Vergiftungserscheinungen, ausgelöst durch den Verzehr einer bestimmten Art ungenießbaren Süß Klees. Sein Schicksal wurde mit dem Film Into the Wild weltbekannt. In meinen Augen verbreitet der Film eine Art New Age-Atmosphäre, angefangen mit der Titelmelodie zu Beginn, bis zum Abspann am Ende. Als ich den Film gesehen habe, beschlich mich das Gefühl, dass die Botschaft dahinter lautet: Naja, er ist gestorben aber hey, vielleicht hast du ja mehr Glück. Versuch es!

Absurditäten: Wie das Schwimmen mit weißen Haien. Oder mitten unter Grizzlies leben, so wie Timothy Treadwell, der 2003 zusammen mit seiner Freundin Amie Huguenard bei einer Grizzly-Attacke ums Leben kam. Beide wurden gefressen. Leute klettern auf Berge und stürzen in den Tod, gehen in die Wüste oder den Regenwald, und werden nie wieder gesehen. Für mich ist die Vorstellung, mich so einer Gefahr auszusetzen völlig absurd. Warum sollte ich auch? Was bringt die Leute dazu, so etwas zu tun? Ich denke, am Ende des Tages gibt es dafür nur eine Erklärung: es ist die romantische Vorstellung von einem Naturbild, das in der Realität nicht existiert und der naive Glaube, dass einem nichts passieren kann. Es ist kindisch. Es ist aber auch Schicksal, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein. Noch vor etwa einhundert Jahren hätte kein normaler Mensch versucht mit Haien zu schwimmen oder unter Bären zu leben, wenn es nicht notwendig gewesen wäre. Heute noch leben Eingeborene weltweit in Angst und Schrecken vor Raubtieren, Giftschlangen und tödlichen Insekten. Zurecht. Wir dagegen suchen diese Gefahr, weil uns das Bewusstsein, der Instinkt für reale Bedrohungen, völlig abhanden gekommen ist. Wir nennen es Abenteuer und Herausforderung. Auf einen tödlichen Berg zu steigen bedeutet für den zeitgenössischen Alpinist, das Leben in vollen Zügen zu genießen und dabei die Todesgefahr in Kauf zu nehmen. Es ist noch nicht lange her, da wäre kein Mensch auf so eine Idee gekommen. Menschen haben früher auf ihren Wanderungen Berge überqueren müssen, weil sie dazu gezwungen waren. Sie haben Raubtiere gejagt und getötet, weil sie sonst selbst Beute dieser Raubtiere geworden wären. Sie haben ihre Stammesangehörigen und ihr Vieh beschützen müssen. Sie taten es, weil sie es mussten. Nicht, weil es ihnen Spaß machte. Sie waren keine Adrenalinjunkies.

Naja, es gab Sitten und Gebräuche, Rituale und Mutproben, wo das sicher vorkam, aber unter anderen Vorzeichen. Eine tägliche Herausforderung bestand z.B. darin, dass der Stamm was zu Essen hatte. Die Mutprobe war, das Tier unter höchster Gefahr zu erlegen, dabei sein Leben zu riskieren und bei Erfolg zu jubeln und sich zu freuen. Das alles war notwendig, um zu überleben und ganz normaler Alltag. Das war die Challenge. Business as usual. Wenn es genug zu essen gab, alle satt waren, legte man sich hin, erzählte Geschichten und genoss das Leben. Keiner kam auf die Idee, sich eine fünfzig Meter hohe Klippe hinunter ins Meer zu stürzen, um mit den Haien zu schwimmen, oder irgend einem Bär die Eier zu kraulen. Das tat man nur zu bestimmten Anlässen.

Bestes Beispiel für unsere verdrehte Wahrnehmung in Sachen Raubtier, ist der Eisbär. Man stellt ihn gerne als kuschelweißen Teddybären dar, vom Aussterben bedroht durch den Klimawandel. Die Realität ist eine ganz andere. Natürlich gibt es Gegenden in Nordkanada und Grönland, wo der Eisbär so gut wie nicht mehr vorkommt. Das liegt aber nicht nur wie behauptet an der Erderwärmung und der damit verbundenen Eisschmelze, sondern vor allem an den dort lebenden Menschen, die ihn jagen und töten, weil er eine ernsthafte Bedrohung für sie darstellt. Der Eisbär ist der Größte seiner Art und eine Bestie, die ihre Jungen frisst, wenn es nichts anderes zu holen gibt. Die Jungen wiederum gehen auf alles los und versuchen es zu fressen, sobald sie aus dem Mutterleib kriechen. Das liegt in ihren Genen und ist purer Überlebensinstinkt. Eisbären sind wahre Monster und Menschenfresser, und es gibt durchaus noch riesige, abgelegene Gebiete, wo ihre Population recht beachtlich ist, weil dort keine Menschen leben. Sie sind gnadenlose Opportunisten, mit einem übernatürlichen Geruchsinn, Seh- und Hörvermögen, einer instinktiven Wahrnehmung, die ihresgleichen sucht, beißen sich meterweit durch Eis, um an die Robbe zu kommen, tauchen und schwimmen tagelang über das eiskalte, offene Meer. Unter den Bären sind sie die Superathleten, mit einer Kraft, Ausdauer und Zähigkeit, die geradezu übernatürlich scheint. Niemand will so einem Killer schutzlos gegenüber stehen.

Ein anderes Beispiel ist der Wolf. Über Jahrhunderte wurde er in Europa gefürchtet, gejagt und weitestgehend ausgerottet. Wölfe waren eine Bedrohung, eine tödliche Plage für Jedermann. Man war froh, als man sie endlich loswurde. So haben die Menschen damals gedacht. Heute wird die Wiederkehr des Wolfes regelrecht gefeiert. Da ist es auch egal, dass Schäfer auf die Barrikaden gehen, weil mittlerweile an die achthundert Wölfe in Deutschland leben und eine grüne Lobby dagegen ist, sie abschießen zu lassen, obwohl ganze Schafherden massakriert wurden. Als man in Schweden zweihundertfünfzig Wölfe zählte, gab man sie zum Abschuss frei. Aus gutem Grund. Der Wolf ist kein treues, menschenfreundliches Tier wie der Hund. Man kann ihn nicht zähmen. Wölfe hassen und fressen Hunde. Die Wolfslobby in Deutschland tat alles, um den Abschuss zu verzögern, und lieferte falsche Populationszahlen an die EU, rechnete die Bedrohung einfach herunter. Bis das Pony von Ursula von der Leyen brutal gerissen wurde. Erst dann war Schluss mit Lustig. Die EU gab den Abschuss für den Wolf in Deutschland frei.

Vor einhundert Jahren gab es in einer Gegend von Finnland zahlreiche Fälle, die meisten davon Kinder, wo Menschen den Wölfen zum Opfer fielen. Es kam sogar so weit, dass Kinder direkt vor der Haustür angegriffen, verschleppt und gefressen wurden. Wie in einem Horrorfilm von Stephen King oder Brüder Grimm-Märchen. Die Realität kann weitaus schlimmer sein. Das Problem ist, dass wir völlig aus den Augen verloren haben, wie oder was die Realität in Wirklichkeit ist. Ich liebe die Natur, aber mein sicheres Heim, Auto und Kühlschrank liebe ich ebenso, wenn nicht sogar noch mehr.

Die GRÜNEN sehen das natürlich anders, und wollen uns in die Steinzeit zurückbefördern, damit die ganze Scheiße wieder von vorne losgeht.


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