Samstag, 22. Juni 2013

Ennis Chronicles

Am Mittwoch hat sich das Oberhaupt der Joyce-Familie erhaengt. Waehrend seine Frau kurz rueber zur Nachbarin ging, knuepfte sich der Traveller mal ganz schnell an der Sat-Schuessel auf. Schreiend und hupend kam sie dann in unserer Strasse vorgefahren und bat ihren aeltesten Sohn, seinen toten Vater wieder abzuhaengen. Der hatte jedoch keinen Bock drauf. Also machte sie es selbst. Waehrend der ganzen Zeit hing er an der Aussenwand und die kleinen Kinder guckten zu.

Gestern war Beerdigung. Offiziell heisst es: Herzinfarkt. Natuerlich weiss jeder, was wirklich passierte aber bei den Travellern gibet nix schlimmeres als Selbstmord und Homosexualitaet. Also tut man so, als waere es kein Selbstmord gewesen. Bin mal gespannt wie es weitergeht. Normalwereise muessten sie jetzt alles Hab und Gut des verstorbenen Seniors abfackeln. Sein Auto, das Haus etc. So verlangt es die Tradition.

Dabei werden gerade die zwei Haeuser nebenan, die sie vor kurzem fuer'n Appel und Ei gekauft haben (€30.000) renoviert. Nebenan bedeutet, neben dem Haus wo der Mann sich aufgehaengt hat. Renovieren tut ein Slovake, der vor kurzem mit seiner Zigo-Familie drei Tueren weiter von uns eingezogen ist. Es dauerte nicht lange und es gab Stunk! Beim Spielen schupsten sich die Kinder gegenseitig und der Slovake griff ein. Als einer unserer irischen Nachbarn ihn zur Rede stellte, wurde er vom Slovaken beschimpft. Asoziales, irisches Dreckspack, hiess es da. Er, der Slovake, waehre schon 20 Jahre in Irrland, haette immer gearbeitet und seine Steuern gezahlt. Dabei spielt es fuer ihn keine Rolle, dass er die Haeuser der Joyces unter der Hand renoviert.

Und waehrend so manche Auslaender ueber Iren herziehen, ziehen manche Iren ueber Auslaender her. Letztens bekam ich in der lane eine Diskussion ueber Schwarzafrikaner mit. Faules, schwarzes Gesindel, das hierherkommt, nicht arbeiten will und den Iren das Geld aus der Tasche zieht, hiess es da. Nun, mal abgesehen davon, dass viele Schwarze in Wirklichkeit sehr wohl arbeiten und Steuern zahlen, waehrend ein grosser Teil der irischen Bevoelkerung Sozialhilfe kassiert, stellte ich die Frage: Sind Iren berechtigt in die Welt auszuwandern und Afrikaner nicht? Die Antwort war: Ja aber die irischen Auswanderer wuerden hart arbeiten. Daraufhin fragte ich: Und was ist mit mir? Ich bin Deutscher und arbeiete nicht regulaer, sondern mache Strassenmusik. Antwort: Ja, du bist aber nicht schwarz!

Vor eineiger Zeit fragte ein aelterer, irischer Herr einen kleinen afrikanischen Jungen, wo er denn herkaeme und was er hier machen wuerde. Der kleine Blackman antwortete in gutem Englisch, er kaeme aus Somalia und seine Eltern wuerden hier arbeiten. Daraufhin sagte der aeltere Herr, sie sollten wieder nach Hause zurueckgehen, ihr Land braeuchte sie. Ich stand daneben, hoerte mir alles an und dachte, hoffentlich kommen noch mehr Schwarze nach Irrland, denn genau das ist es, was diese Kackinsel braucht! Doch egal wie es die Schwarzen oder auch andere Auslaender machen, es ist immer falsch: entweder sie nehmen den Iren die Arbeit weg oder sie ziehen ihnen das Geld aus der Tasche, weil sie auf Stuetze sind! Diese Meinung wird auch gerade von aelteren Iren vertreten: The feckin foreigners, they're robbing us!

Auch ich bleibe nicht von dieser Scheisse verschont. Hinter vorgehaltener Hand herrscht bei einigen Iren folgende Meinung ueber mich: Dieser Deutsche kommt hierher und denkt die Gasse gehoert ihm! Das bekomme ich von Freunden und Bekannten erzaehlt, die es woanders mitbekommen haben. Wir leben in einem Kaff, wo jeder ueber jeden bescheid weiss. Meine Antwort darauf: Sagt ihnen, genau so ist es! Schliesslich brauchen sie hier jemanden, der ihnen zeigt, dass es auch was anderes gibt als nur ihre Diddeldidei- und Rebell-Mucke.

Solche Spannungen halten sich jedoch gottseidank noch in Grenzen. Manchmal fuehle ich mich wie ein Beobachter. Die Situation hat auch Vorteile. Nach acht Jahren in der lane bin ich eine Art Stadt-Attraktion geworden. Die Leute unterstuetzen mich. Ansonsten bleibe ich Zuhause, gehe nirgendwo hin und gebe ausser fuer Fixkosten sogut wie kein Geld aus. Es gibt sogut wie keine Ablenkungen und deshalb faellt es mir leichter, mich auf meine Musik zu konzentrieren. Von daher gesehen geniesse ich trotz oder wegen aller Einschraenkungen eine kreative Freiheit, die ich so in Deutschland schon lange vermisst habe. Hier ein paar aktuelle Bilder aus meinem "Gruebelstuebchen" ... meinem Home-Studio:

2 Kommentare:

  1. Sozial anstrengend, künstlerisch ambitioniert und interessant. Hoffentlich das Beste für Dich! Wanderer.

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  2. Kleiner Nachtrag zur Beerdigungszeremonie: Die Innenstadt wurde abgesperrt. Also fuehrte das Ganze um die Stadt herum, Pferdedroschke mit Sarg, begleitet von bewaffneten Sicherheitskraeften und etlichen Gardas. Ein Riesenaufwand fuer jemanden, von dem man sich erzaehlt, er waere verrueckter gewesen als eine Scheisshausratte und den im Grunde niemand vermisst ... noch nicht mal die eigene Familie!

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