Sonntag, 5. März 2023

HINWEISE AUF DIE UNSTERBLICHKEIT aus ERINNERUNGEN AN DIE FRÜHE KINDHEIT von William Wordsworth


I
Es gab die Zeit, da Wiese, Fluß, des Waldes Saum,
auch wenn es ungewöhnlich nicht,
was ich da konnte schaun,
gekleidet schien mir in ein Himmelslicht,
in Glanz und Frische wie im Traum.
Doch jetzt ist alles anders, als es früher war,
wohin ich mich auch wenden mag,
zur Nacht, am Tag,
die Dinge kann ich nicht mehr sehn, wie ich sie einmal sah.

II
Der Regenbogen kommt und geht,
in Blüte schön die Rose steht;
der Mond schaut um sich, wenn der Himmel klar,
und was er sieht, ihm Freude macht;
in einer sternenklaren Nacht
die Wasser glitzern wunderbar.
Im Glanz die Sonne wird uns neugeboren,
und doch ich seh, wohin ich immer geh:
Die Erde hat den alten Glanz verloren.

III
Jetzt, wo all die Vögel fröhlich singen
und junge Lämmer springen
als wie zu Tamburinenschlag,
hat mich allein ein Gram geplagt:
Erleicht’rung brachten Worte, grad gedichtet,
das hat mich aufgerichtet:
Mag mich nicht länger grämen,
mag nicht die Jahreszeit beschämen:
Des Kataraktes Wasser tosend in die Tiefe fallen,
die Echos wie Trompeten von den Hängen widerhallen,
und sanfte Winde aus des Schlafs Gefilden sich erheben:
Es ist, als sei der Erde Leben
zu dieser schönsten Maienzeit
der Freude vollends hingegeben,
als fei’re die Natur im Festtagskleid:
Ach, laß mich dieser Lebensfreude angehören
und laß mich wieder, Hütejunge, Deine Rufe um mich hören!

IV
Was, ihr glücklichen Geschöpfe, eines da zum andern rief,
ich lauschte dem und schaute, was ihr macht,
seh, wie zu Eurem Fest der Himmel lacht.
Bei eurer Feier mit dem Herzen bin ich ganz,
es ziert mein Haupt ein Blumenkranz,
die Fülle eures Glückes fühl’ ich, fühl’ ich tief!
Unmöglich, wär ich jetzt verdrossen,
wo sich die Erde selber schmückt,
der Maienmorgen uns beglückt,
in tausend Tälern sprossen
Blumen, frisch erblüht,
und man die Kinder Sträuße machen sieht;
die Sonne scheint so warm,
der Säugling hüpft auf seiner Mutter Arm:
Ich hör’, ich hör’ das alles, nehm’s mit Freude auf!
Doch dort, von vielen einer, ist ein Baum,
ein stilles Feld, das Auge hat geliebt,
sie sprechen beide mir von etwas, was es nicht mehr gibt:
Stiefmütterchen vor meinen Füßen
auf gleiche Weise wollen aus der Kindheit grüßen,
entschwunden doch das Leuchten, wie ich’s konnte schaun,
wo blieb der Schimmer, Glanz, der Traum?

V
Geburt, das ist nur Schlaf und ein Vergessen:
Die Seele, die mit aufgeht uns, die unsres Lebens Stern,
ein anderes Zuhaus hat sie besessen
und kommt daher von fern:
Nicht alles sie vergessen hat,
nicht gleicht sie unbeschriebnem Blatt:
Nach uns ziehend Wolkenglanz und Glorienschein,
von Gott wir kommen, er ist unser Heim:
Der Himmel uns umgibt in Kindertagen!
Die Schatten des Gefängnisses sich langsam schließen,
sobald der Junge wächst heran,
noch nimmt er wahr das Licht und sieht’s vom Ursprung fließen
in seiner Freude Überschwang.
Dem jungen Mann von Osten täglich länger wird die Spur,
noch ist er Priester der Natur
und jene visionäre Kraft
begleitet seine Wanderschaft.
Wie schwach und schwächer sie ihm wird, der Mann noch spürt,
bis sich der Glanz im Licht des Alltags ganz verliert.

VI
Die Erde füllt sich ihren Schoß mit Freuden eigner Art;
Wünsche hat sie nach der Weise ihrer Erdnatur;
wie eine Mutter will sie unser Bestes nur,
mit Absicht lobesam
die Amme tut, was sie nur kann,
daß sie ihr Pflegekind, als Hausgenossen dann den Mann
vergessen macht die Herrlichkeit, die mal zuteil ihm ward,
den prächtigen Palast, aus dem er kam.

VII
Betrachtet nur den Knaben, wie er neuen Freuden hingegeben,
sechs Jahre alter Liebling der Familie, groß nur wie ein Zwerg,
seht her, wie er da liegt und spielt inmitten seiner Hände Werk,
gestört grad von der Mutter, die ihn in den Arm will nehmen,
wie wohlgefällig ruht des Vaters Blick auf ihm.
Zu seinen Füßen liegt da eine Skizze, seines Spieles Plan,
ein Stückchen seiner Phantasie von unsrer Welt Regime,
mit frisch gelernter Kunst von ihm gestaltet ganz spontan,
sich nachzuspielen eine Hochzeit, ein Begräbnis
oder kurz vorher Erlebtes,
alles findet sein Interesse,
auf alles macht er seinen Reim,
und seine Zunge übt auch schon mit Raffinesse,
wie man verhandelt, wie man tändelt, wie man schimpft im Streit.
Doch schon nach kurzer Zeit
legt er gespieltes Spiel beiseit,
und bald mit neuer Freude, stolz auf seine Art
studiert der kleine Mime einen andren Part,
von Zeit zu Zeit sich füllend den Komödienstadel
mit Leuten aus dem Volk bis hin zum Greis von Adel,
wie sie das Leben bringt in seiner Equipage,
als wär er nur dazu geschaffen,
was vorgemacht, stets nachzumachen.

VIII
Du, dessen äußere Erscheinung liegt im Streit
mit deiner Seele Unauslotbarkeit,
Du einzigartig Philosoph, dein Erbe noch bewahrend,
Du Auge unter Blinden, das, taub und stumm,
die ew’ge Tiefe schaut und liest,
das ständig heimgesucht von Gottes Geist;
Gewaltiger Prophet! Gesegnet Seher!
auf dem ruhn jene Wahrheiten,
die wir ein Leben lang uns mühn zu finden,
in Dunkelheit verloren, des Grabes Dunkelheit.
Du, über dem Unsterblichkeit
dem Tag gleich lastend schwebt, der Meister überm Sklaven,
Präsenz, der man nicht weichen kann.
[Für Dich das Grab
ist nur ein Bett, wo einsam man
den Tag nicht spürt, nicht sieht das warme Licht,
ein Ort des Sinnens, wo wir wartend liegen.]
Du kleines Kind, großartig doch in Kraft und Macht
himmelsgeborner Freiheit auf dem Gipfel deiner Existenz,
warum nur forderst Du mit solchem heft’gen Schmerz
heraus die Jahre, unausweichlich dir das Joch zu bringen,
so blind mit der Glückseligkeit im Streit?
Sehr bald wird haben Deine Seele ihre Erdenlast,
und Brauch und Sitte werden auf Dir liegen mit Gewicht
wie Frost so schwer und tief fast wie das Leben!

IX
O Freude, daß in unsren Schlacken
etwas ist, das glüht,
was die Natur will glühen lassen
und doch so leicht entflieht!
Das Gedenken an die Jahre, die uns sind vergangen,
beständ’gen Segen läßt es mich empfangen:
Nicht für das, was auch zu segnen wär in meiner Rede,
die Freude, Freiheit und der schlichte Kinderglaube,
der wie eine eben flügge Taube
noch flattert in der Kinderseele:
Nicht dafür hub ich an zu dieser Ode,
dem Dank gewidmet und dem Lobe:
Nein, jenen widerspenst’gen Fragen bin ich zugewandt,
was durch die Sinne von der Außenwelt bekannt,
was wir verloren, was entschwand, –
den schieren Ängsten einer Kreatur,
in Welten sich bewegend, die sie nicht erfassen kann, –
den erhabenen Instinkten, die unsre sterbliche Natur
erzittern lassen wie den auf der frischer Tat ertappten Mann:
Nein, jenen allerersten Stimmungen
ich spüre nach, den Schemen der Erinnerungen,
die, was auch immer sie an sich sein mögen,
ein Lichtquell doch uns sind auf allen Wegen,
ein Leitlicht auch für alles, was wir sehen,
die aufrecht halten uns und uns umhegen,
die Kraft auch haben, daß die lauten Jahre, die uns eigen,
Momente scheinen in der Stille einer Ewigkeit,
die doch als Wahrheit wach am Leben bleiben,
die nie ganz tilgt der Lauf der Zeit,
die weder blinder Eifer, auch nicht Teilnahmslosigkeit,
noch alles, was als Feind der Freude ficht uns an,
ganz löschen und zerstören kann.
So wie bei aufgeklartem Wetter auch vom Binnenlande weit
man sehen kann bis hin zum Meer,
sehn unsre Seelen selbst das Meer der Ewigkeit,
aus dem man sie gebracht hierher,
wohin zurück sie müssen jederzeit.
Schauet zu den Kindern, die am Strande tollen,
und hört die mächt’gen Wellen, wie sie immerfort da rollen.

X
Also singt, ihr Vögel, singt, stimmt alle in das frohe Lied mit ein,
und laßt die jungen Lämmer springen
als käm der Takt von Tamburinen!
Im Geiste wollen mitten unter euch wir sein,
bei euch, die ihr da flötet, musiziert,
bei euch, die ihr im Herzen heute spürt
die Freude, die den Mai regiert.
Auch wenn das Licht, das mal so strahlend war,
mir immer nun ist unsichtbar,
auch wenn mir nichts kann wiederbringen jene Zeit,
wo auf den Gräsern und den Blumen lag der Glanz der Herrlichkeit,
so wollen wir vergessen jetzt die Kümmernis
und finden eher Kraft in dem, was bleibt und ist:
Im Mitgefühl, dem Grundvertrauen,
erfahren mal, auf die Erfahrung ist zu bauen, –
in tröstenden Gedanken, die uns quellen,
sobald wir Leid und Not uns müssen stellen, –
im Glauben, dessen Blick die Wand des Todes kann durchdringen, –
und in den Jahren, die uns Weisheit bringen.

XI
Und oh, ihr Quellen, Berge, Wiesen, kleinen Wälder,
den Liebesbund mit euch zu lösen, ist nicht mein Bestreben!
Im Herzen aller Herzen fühle ich doch eure Kräftefelder;
hab allenfalls die eine Freude aufgegeben,
im Machtbereiche eurer ständ’gen Gegenwart zu leben.
Ich lieb die Bäche, die hinab sich ihre Rinne graben,
ja mehr, als leicht wie sie ich tänzelte in Kindertagen.
Des neuen Tages makelloser Glanz ist noch so schön wie ehedem.
Die Wolken, die sich sammeln um die Sonne, untergehend schon,
empfangen ihre Farb’ in einem nüchternen, gedeckten Ton
von einem Aug’, das hat bewacht der Menschen Sterblichkeit.
Ein Wettlauf wieder mal zu Ende, andre Palmen waren Lohn.
Dank sei unsres Herzens Schlag, durch den wir leben,
Dank sei unsres Herzens Freude, seiner Scheu und Zärtlichkeit:
Die unscheinbarste Blüte kann Gedanken und Gefühle geben,
so tief in mir, daß oft nicht mal der Tränen Sprache sie erreicht.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.