Dienstag, 22. Mai 2012
Ich erzaehl euch was vom Pferd
Ich wollte nie ein Pferd. Als wir letztes Jahr im Juli umgezogen sind, sah ich Henry das erste mal. Er stand angebunden auf dem Feld hinter der Siedlung. Als ich mich mit den Hunden naeherte, wieherte er uns freudig entgegen. Er stand da ohne Wasser und Futter. Das Gras um ihn herum hatte er schon aufgefressen. Ich dachte mir "Ein Traveller-Pony" und machte einen Bogen um ihn. Am naechsten Tag stand er immer noch da. Nach ung. vier Tagen entschloss ich mich endlich zu ihm hinzugehen. Ich hatte ein paar Karotten und Aepfel dabei. Freudig nahm er sie entgegen. Die Hunde stoerten ihn ueberhaupt nicht, obwohl sie bellten wie verrueckt. Nach einer Woche fuehrte ich ihn im Kreis um das Feld. Nach zwei Wochen liess ich ihn laufen. Die Hunde hatten sich mittlerweile an ihn gewoehnt. Zusammen gallopierten sie kreuz und quer ueber die Wiese.
So traf ich Henry, das Connemara Pony.
Er gehoerte Martin Joyce, einem Traveller, der in der Nachbarschaft wohnt. Als er mir anbot Henry zu kaufen, lehnte ich zunaechst ab. Da waren schon einige Wochen ins Land gegangen. Henry wurde ein richtiger Freund. Ich fuetterte ihn, liess ihn zwei Stunden Taeglich laufen und schaute so oft ich konnte nach ihm. Doch irgendwann macht ich mir Sorgen. Henry stand auf offenem Gelaende, fuer jeden zugaenglich. Manchmal kam ich frueh morgens runter und sah ihn frei rumlaufen, weil ihn irgend jemand losgemacht hatte. Einmal riss sein Halfter. Ein andermal riss er den Pfosten, an dem er angebunden war aus dem Boden und zog das Stueck Holz die ganze Nacht mit sich durch die Gegend. Abgehauen ist er bis dahin nie. Ich fand es auf jeden Fall schlecht, dass ich ihn immerwieder anbinden musste. Er tat mir leid. Besonders abends vorm Schlafengehen, so dass ich oft nochmal runterging um ihm gute Nacht zu sagen. Er war auch die ganze Zeit allein dort unten. Schon da ueberlegte ich mir, ihn umzusiedeln.
Als Frankie Coote vom Pound auftauchte, um herauszufinden wem das Pony gehoert, einigten wir uns darauf, dass ich es kaufen wuerde um ihn dann zu verlegen. Frank wollte keinen Aerger mit den Joyces. Also kaufte ich Henry fuer 50 Euro. Der Plan sah vor, ihn an eine Rettungsorganisation weiterzugeben, die sich um ihn kuemmern wuerde. Der Winter stand vor der Tuer. Nicht nur, dass es staendig regnete und das Feld auf dem Henry satnd langsam zum See wurde, es hagelte auch immer oefter. Henry hatte nirgendwo einen Unterschlupf. Er war dem Wetter schutzlos ausgeliefert. Ich machte mir richtige Sorgen, doch es ist erstaunlich was so ein kleines Pferd alles aushaellt. Manchmal regenete und hagelte es die ganze Nacht, mit Sturmboeen und allem drum und dran. Ich dachte, das ueberlebt er nicht! Doch am naechsten Morgen stand er friedlich grasend da als waer nix gewesen. Ich machte ihn los und er gallopierte kreuz und quer durch die Gegend, um sich aufzuwaermen. Die Hunde hinterher. Ich liebte es. Manchmal musste ich mitten in der Nacht aufstehen, um ihn dort unten vor dem Ertrinken zu bewahren. Das Feld wurde zum See und es gab immer weniger Stellen, wo er einigermassen trocken stehen konnte.
Bei all dem Stress wuchs er mir immer mehr ans Herz und ich wollte ihn nicht mehr weggeben. Ich wollte ihn behalten. Also uebernahm ich die Verantwortung und einigte mich mit Frank darauf, dass Henry erstmal dort stehen bleiben sollte, bis ich einen anderen Platz fuer ihn finden wuerde.
Doch ich fand keinen.
In Irrland ist es naemlich so: jedem tun die armen, verlassenen, verhungerten, vernachlaessigten, geschundenen Pferde leid aber sogut wie niemand will sie haben. Es gibt hier leerstehende Weiden so weit das Auge reicht, wo das Gras verrottet. Den Farmern hier geht's einfach zu gut. Entweder wollen sie erst garnicht mit einem reden oder sie halten gleich die Hand auf: fuer 500 Euro im Monat kann man sein Pferd bei ihnen auf die Weide stellen. Das ist bei uns in der Gegend der Standardpreis. Es gibt hier jede Menge Pferde- und Ponyzuechter, die mit Verachtung auf Traveller und ihre Pferde herabsehen. Nach deren Meinung musste man alle Travellerpferde ins Schlachthaus bringen und die Traveller am besten mit dazu.
Mit einfachen Worten: man steht in so einem Fall mit seinem Pferd ziemlich alleine da.
Die Traveller wiederum sind auf ihre Art und Weise pragmatisch. So lange ein Pferd Geld einbringt wird's gehegt und gepflegt. Besser als jeder normale Ire das tun wuerde. Aber so bald es nicht mehr ist was es sein soll, wird's regelrecht weggeschmissen. Schlimmer als jeder normale Ire das tun wuerde. Ausnahmen bestaetigen die Regel. Stuten werden zu Gebaermaschinen misbraucht. Es kommt nicht selten vor, dass so ein armes Tier in ihrer dreissigjaehrigen Lebensspanne dreissig Fohlen zur Welt bringt! Die werden dann alle nach und nach verkauft. Viele landen spaeter irgendwo auf einem stueck Wiese neben einer Schnellstrasse.
Die Traveller argumentieren so: ein Grund warum in Irrland Pferde verhungern ist, weil das Council nicht eigene Gruenflaechen und ungenutzte Grundstuecke als Weideflaeche zur Verfuegung stellen will. Stattdessen liegen viele dieser Grundstuecke brach. Teilweise eingezaeunt wie Hochsicherheitsanlagen, damit kein Traveller dort hin kommt, fault das Gras vor sich hin. Die Farmer wollen mit dem Travvellergesoks sowieso nichts zu tun haben und mistrauen jedem, den sie nicht kennen.
Ich stand also da und ueberlegte wohin mit Henry? Mittlerweile hatte ich ihn gut ueber den Winter gebracht. Er war kerngesund, kraeftig und langsam kamen sein Triebe zum Vorschein. Als John Doherty seine Stuten nebenan aufs Feld brachte, drehte Henry fast durch! Spaeter stellten die Joyces zwei ausgewachsene Hengste bei uns auf's Feld. Henry ging sofort auf beide los. Dabei biss ihm einer in den linken Vordelauf. Henrys Knie schwoll an wie ein Luftballon und er humpelte eine Woche. Ich konnte ihn nicht mehr losbinden und bekam seinen Frust ab: von seiner Beisserei hatte ich blaue Flecken an beiden Armen und Oberkoerper.
Als seine Hufe getrimmt werden mussten, versuchte ich einen farrier aufzutreiben, doch keiner hatte Lust hier runterzukommen. Ich versuchte es dann selbst und erlebte eine boese Ueberraschung: er haette mir mit einem seiner Vorderhufe fast die Zaehne ausgeschlagen!
Zwischendurch kamen Nachts immerwieder Jugendliche runter auf die Weide, die ihn reiten wollten. Eines Morgens fand ich einen langen Schlauch neben Henry im Gras liegen. Wahrscheinlich hatte man ihn damit geschlagen.
Die ganze Situation geriet immer mehr ausser Kontrolle, zumal Henry immer unberechenbarer wurde. Er brach z.B. aus und rannte die Strassen runter. Ich und die Hunde hinterher, bis ich ihn neben einem Haus in die Enge treiben und einfangen konnte. Die Leute dort sassen zu dem Zeitpunkt in ihrem Wohnzimmer und schauten durch das Fenster zu. Haette Henry gegen das Fenster getreten, waere der Teufel los gewesen. Voll das Chaos!
Auch fuer spielende Kinder wurde es zu gefaehrlich!
Henry musste weg von hier. Zum Glueck traf ich jemanden, der einen Kontakt zu einer Tierschutzorganisation hier in der Gegend herstellte. Eine Woche spaeter wurde er abgeholt und steht jetzt 15km ausserhalb von Ennis mit anderen Pferden im Stall und auf der Weide. Die Leute kuemmern sich um ihn. Ich sehe ihn nur einmal die Woche, da ich im Moment kein Auto habe und bezahle 40 Euro im Monat fuer die Unterkunft.
Der Vorbesitzer wollte neulich von mir wissen wo Henry steht. Als ich das John Doherty erzaehlte, sagte er: "Klar will er das wissen! Weil er ihn dir wieder wegnehmen will. Schliesslich steht Spancil Hill vor der Tuer."
Was bin ich froh, dass alles gut gelaufen ist ...
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