Freitag, 13. März 2020

Ach ja, da war noch was!

Im unterbrechungsfreien Einzelfallstakkato, dem Klima-, Flüchtlingsnachschub- und Corona-Gedräue ist fast schon in Vergessenheit geraten, was sich am Nikolaustag 2019 auf dem Augsburger Königsplatz zutrug: Dort war der 49-jähriger Feuerwehrmann Roland S. vor den Augen seiner Ehefrau und eines befreundeten Ehepaares von einer siebenköpfigen Horde aggressiver Jugendlicher - darunter welche mit libanesischer, türkischer, italienischer Staatsbürgerschaft wie auch Deutsche mit Migrationshintergrund - totgeschlagen worden. Keine drei Monate, später zeigt der deutsche Rechtsstaat seine ganze "Härte": Sechs der Tatverdächtigen wurden jetzt aus der Untersuchungshaft entlassen. Dafür hat ausgerechnet das höchste deutsche Gericht gesorgt.

Auf die Verfassungsbeschwerde des Anwalts eines 17-jährigen Mitglieds der Schlägerbande hin, der wie seine Kompagnons wegen Beihilfe zum Totschlag in U-Haft saß, hatte das Karlsruher Bundesverfassungsgericht befunden, der Jugendliche werde durch die U-Haft "in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person verletzt". Die untergeordneten Instanzen bis zum OLG Augsburg hinauf, das den dringenden Tatverdacht der Gruppe bejaht hatte, hätte "die erforderliche Begründungstiefe vermissen" lassen. Deshalb, so das BVerfG, sei der Haftbefehl aufzuheben. Dass das Verfassungsgericht die Haftbeschwerde überhaupt zur Entscheidung annahm, war offenbar der öffentlich-medialen Aufmerksamkeit des Falls geschuldet: Normale U-Häftlinge haben so gut wie keine Chance, vor diesem Gericht Gehör zu finden.

In Karlsruhe verrichten - so scheint es - inzwischen vor allem verhinderte Sozialarbeiter und Bewährungshelfer ihren Dienst, als Richter, die sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und vor allem dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürger orientieren. Dies ist insofern wenig verwunderlich; als vom Verfassungsgericht immer häufiger eine progressive Gesellschaftspolitik in Fragen betrieben wird, die die eigentlich dafür zuständige Regierung und der Gesetzgeber nicht regeln können oder wollen - zuletzt gerade wieder mit seiner Zubilligung (und extrem weitreichenden Auslegung) des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben. Und Ausdruck dieser gesellschaftspolitischen "Progressivität" ist offenbar auch eine betont täterfreundliche Grundhaltung.

Die Folgen der Entscheidung zu Augsburg sind weitreichend - denn de facto stellt sie schon die Weichen in Richtung faktischer Straflosigkeit: Als erste Reaktion kündigte die Augsburger Staatsanwaltschaft heute prompt an, neben dem Beschwerdeführer auch die anderen fünf mutmaßlichen Mittäter in dem Fall freizulassen - aus "Gleichbehandlungsgründen". Nur der 17 Jahre alte Hauptbeschuldigte Halid S. bleibe "weiterhin", (treffender wäre: vorerst noch) in U-Haft, doch dessen Anwalt hat bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt, auch dieses missverstandene Opfer widriger Umstände, der höchstwahrscheinlich mit tiefstem inneren Bedauern widerwillig zum unglücklichen Schlag gegen den Familienvater ausholte, freizubekommen.

Es stimmt etwas nicht mit einer Gesellschaft und mit einem Rechtsstaat, wenn eine Gruppe junger Männer einen unbescholtenen Familienvater auf offener Straße umringt und ihn tötet - und fast alle mutmaßlichen Angreifer schon wenigse Wochen später wieder frei herumspazieren dürfen, als wäre nichts gewesen. Das Leben von Menschen (und hier ist man geneigt im Subtext zu ergänzen: von deutschen, mittelalten, verheirateten gleich heteronormativen weißen Männern mit festen Wohnsitz, Job und Sozialversicherungsnummer) ist faktisch nichts wert. Hingegen werden die - jetzt sogar schon durch U-Haft "bedrohten" - Rechte halbstarker Schläger und kulturfremd sozialisierter Migranten - die meisten von ihnen polizeibekannt (darunter auch der arabischstämmige Hauptverdächtige), ostentativ überbetont.

Die Sabotage der Justiz aus ihren eigenen Reihen heraus, die Pervertierung des allgemeinen Gerechtigkeitssinns durch Entscheidungen wie die jetzige zu Augsburg haben ein und dieselbe Ursache, die auch der verhängnisvollen Verschiebung der politischen Koordinatensysteme zugrundeliegt: Sie fühlen sich einem grundfalschen, naiven Menschenbild verpflichtet, das auf penetrante Weise an das "Gute" des Subjekts glaubt. Was sie vergessen: Für das Gute im Menschen sind Gesetze und Gerichte nicht gemacht - denn wäre dieses Element wesensbestimmend, bräuchte man beides nicht. Gewohnheitsmäßige Täter-Opfer-Umkehr und die inzwischen pathologische Vernarrtheit in all jene, die "Grenzen übertreten" - und zwar wörtlich wie rechtlich - schafft stets nur neues Unrecht.

Staatliches Handeln, das Pseudomenschlichkeit über Vernunft und Ordnungsprinzipien triumphieren lässt und gesundes Misstrauen gegenüber dem Einzelnen durch ein grenzenloses Urvertrauen in seinen Idealismus ersetzt, findet seine Entsprechung in Richtern, die auch nach abscheulichen Verbrechen unverdrossen auf die Besserungs-, Einsicht- und Bekehrungsfähigkeit der Täter setzen.

Dass die Justiz übrigens sehr wohl anders könnte, wenn sie nur wollte, dass sie dringende Verdachtsmomente selbst beim gänzlichen Fehlen jeglicher belastbarer Beweise über Jahre aufrechterhalten und sogar Hochsicherheitsverwahrung bis hin zu drakonischenen Verurteilungen auf Hörensagen hin durchsetzen kann, das zeigte etwa der Kachelmann-Prozess. Auch Prominente wie Andreas Türck konnten - auf vage Verdächtigungen hin, ohne objektiven Nachweis irgendwelcher angerichteter Schäden - von deutschen Staatanwaltschaften oder Gerichten ihrer Freiheit beraubt werden, ja im sozialen Ansehen und beruflich vernichtet werden, ohne dass je ein Verfassungsrichter intervenierte und den "Gleichbehandlungsgrundsatz" monierte. Und auf die "Verhältnismäßigkeit" des Strafmaßes im Fall von vermögenden Steuersündern (man denke an den Fall Hoeneß) muss erst gar nicht eingegangen werden, vergleicht man diese mit den notorisch milden Urteilen bei Delikten gegen Leib und Leben.

Entscheidend ist offenbar, ob eine gesamtgesellschaftliche Voreingenommenheit gegen bestimmte Personenkreise vorliegt - die seitens der Justiz dann in "entschlossene" Maßnahmen mündet, wann immer sich Gelegenheit dazu bietet und der abstrakte Generalverdacht zum konkreten Tatverdacht wird. Bei Rechtsextremen, bei schillernden männlichen Showgrößen als potentielle Triebtäter, bei polarisierenden Fussballmanagern und Finanzspekulanten ist der juristische Bias politisch und standesintern geradezu erwünscht - und verheißt öffentliche Profilierungschancen für die Justiz. Sind die Täter hingegen Jugendliche oder junge Erwachsene, am besten noch mit Migrationshintergrund, dann schwingt die Voreingenommenheit ins genau andere Extrem um: Da werden Gewalttäter, Totschläger, Randalierer, Landfriedensbrecher heiße Anwärter auf die allgegenwärtige Opferrolle - und von den Organen der Rechtspflege mit Glacéhandschuhen behandelt.

Die Zeichen stehen gut, dass die bunte Augsburger Truppe schon bald wieder auf Tour gehen kann: Genügend einheimische Deutsche, die den Fehler machen, die Innenstädte ihrer einstigen Heimat naiverweise für sicher genug zu halten, um dort einen abendlichen Stadtbummel zu riskieren, wird es auch im Sommer 2020 geben, so dass wir uns auf noch mehr "tragische" Begegnungen oder "kulturelle Missverständnisse" zwischen Deutschen und Eingedeutschten freuen dürfen. Die Kuscheljustiz steht für ihre Schützlinge schon Gewehr bei Fuß.

Autor: Daniel Matissek

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