Sonntag, 20. Februar 2011

Musik: Irland I

Travels


Auszüge aus meinem (noch unvollendetem) Buch:

Frankfurt, Hanauer Landstraße
Es muss ein Freitag- oder Samstagabend gewesen sein, als ich im Mai 2004 viel zu spät zu einem Auftritt in den Irish Pub nach Sachsenhausen fuhr. Ich war total gestresst und in Gedanken. Die ganze Woche lief es schlecht mit der Straßenmusik, ich hatte kaum was verdient. Am Wochenende davor hatte ich einen Auftritt im Irish Pub Hofheim. Jedenfalls war es so ausgemacht. Als ich dort ankam, hatte bereits eine andere Band ihr Equipment schon aufgebaut. Der Manager hatte aus Versehen zwei acts für einen Abend gebucht. Als ich ihn darauf hinwies, dass mein gig schon Monate vorher ausgemacht war, zuckte er einfach nur mit den Schultern. Eine Entschädigung wollte er mir auch nicht bezahlen. Schließlich waren es hin und zurück 150 Kilometer, die ich wegen nichts fahren musste. Er sagte nur, da kann man nichts machen. Daraufhin hätte ich ihm eine verpasst, wenn nicht eine der Bedienungen dazwischen gegangen wäre! Er schrie irgendwas von einem Baseballschläger und ich schrie, er solle sich das Teil da hinstecken, wo die Sonne niemals hin scheint. Danach fuhr ich wieder nachhause.Das alles ging mir durch den Kopf, als ich mit 90 km/h die Hanauer Landstraße hoch bretterte. Kurz vor dem Radsweg-Kreisel wurde ich plötzlich von einem Infrarot Blitz geblendet. Ich wusste sofort was los war, schaute auf den Tacho und dachte mir „Scheiße!“. Mein zweiter Gedanke war „Das wird teuer!“. Mein dritter Gedanke „Ich verliere den Führerschein!“. Genau in dieser Reihenfolge.
So war es dann auch. Nach zwei Wochen bekam ich den Bußgeldbescheid: über 180 Euro, drei Punkte in Flensburg und einen Monat Führerscheinentzug! Das einzig Gute daran war, dass ich mir den Monat aussuchen konnte. Was mache ich denn ohne Führerschein? Die Antwort lag auf der Hand: reisen! Und zwar genau dorthin, wo ich mit Musik Geld verdienen könnte. Ich wollte schon immer mal nach Irland. Ich hatte sogar schon mal ein Flugticket dorthin. Im letzten Moment überlegte ich es mir anders, gab es wieder zurück und fuhr stattdessen nach Portugal. Freunde rieten mir nach Irland zu gehen. „Das ist genau das Richtige für dich, da wirst du dich wohl fühlen“ hieß es. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen.
Im Juni gab ich meinen Führerschein ab. Ich besorgte mir ein Flugticket nach Dublin, packte meine Sachen und fuhr mit Ella und ihren Eltern zum Flughafen. In der Tasche hatte ich 400 Euro. Mehr war nicht drin. Ehrlichgesagt hatte ich überhaupt keine Lust ohne meine Familie wegzugehen. Doch ein Familienurlaub war aus rein finanziellen Gründen einfach nicht möglich. Es gibt schicksalhafte Momente im Leben, die einem erst viel später klar werden. An diesem Tag spürte ich nichts davon. Ich wollte in vier Wochen wieder zuhause sein, mit reichlich Geld, das uns im nächsten Monat über die Runden bringen würde. Ella war wunderschön. Sie hatte eine neue Frisur. Wir umarmten und küssten uns. Zum Abschied sagte sie: „Komm wieder!“ „Klar komm ich wieder!“ erwiderte ich. Ich kam auch wieder. Aber es sollte alles anders werden.


Dublin
Wenn man das erste Mal irgendwo hingeht, wo man vorher noch nicht war, ist man gespannt wie es wohl dort aussieht. Man fragt sich, was da einen erwartet und wie man dort zurechtkommt. Erwartungshaltungen hatte ich keine. Ich ließ die ganze Sache einfach auf mich zukommen. Bessergesagt ging ich auf die Sache zu, denn kein Mensch wartete dort auf mich. Ich kannte niemanden in Irland. Anlaufstation war die günstigste Jugendherberge im Zentrum Dublins. Den Namen habe ich vergessen. Ich weiß nur noch, dass ein Bett 17 Euro die Nacht kosten sollte. Nach der Landung fuhr ich mit dem Shuttle-Bus vom Flughafen in die Innenstadt. Das erste was mir auffiel waren die dicken Regenwolken und die besonderen Lichtverhältnisse. Am Spätnachmittag war es schon ziemlich dunkel, nur hier und da strahlte die Sonne durch die Wolken und vereinzelte Häuser leuchteten in bunten Farben. Im Zentrum angekommen fing es an zu regnen. Kein Problem. Ich hatte ja meinen großen Regenumhang dabei und streifte ihn einfach über. Als ich mich dann in einem Schaufenster sah, bekam ich einen Schreck. Mit einem großen Rucksack auf dem Rücken, einem kleineren auf der Brust und dem Regenumhang darüber sah ich aus wie der Glöckner von Notre Dame! Quasimodo mit einem Gitarrenkoffer in der Hand. Es war mir peinlich. Außerdem fing ich an zu schwitzen. Als ich dann schweißgebadet vor dem Eingang der Jugendherberge stand, konnte ich endlich den Umhang ablegen. Ich würde ihn auch nicht mehr tragen, jedenfalls nicht so.
An der Rezeption saß ein junger Ire. Ich sagte ihm, ich bräuchte ein Bett für die Nacht und würde eventuell über das Wochenende bleiben. Er sagte, das einzig verfügbare Bett gäbe es in einem dorm (Schlafquartier) mit fünf weiteren Gästen und der Preis wäre 25 Euro pro Übernachtung. Ich wies ihn daraufhin, in meinem Reiseführer sei von 17 Euro die Rede. Das beeindruckte ihn überhaupt nicht. Ich überlegte nur kurz. Es war Donnerstag und wenn ich erst am Montag wieder aus Dublin raus wollte, müsste ich also insgesammt 100 Euro nur für Logis bezahlen. Draußen goss es in Strömen und ich hatte wirklich keine Lust mehr einen auf Quasimodo zu machen, zumal ich auch nicht wusste wohin! Also bezahlte ich für eine Nacht und ging hoch aufs Zimmer.
Nachdem ich meine Sachen untergestellt hatte machte ich mich auf den Weg zur Grafton Street. Laut Reiseführer war das die berühmteste Straße für Straßenmusiker in Dublin. Weil ich am nächsten Tag gleich loslegen wollte, fand ich es ganz sinnvoll zu erkunden wie man dort hinkommt. Der Regen hatte aufgehört und ich war gut drauf. Dublin wirkte auf mich wie jede andere Großstadt: laut und hektisch. Auf den ersten Blick fand ich es dort auch nicht besonders schön. Ich vermisste diesen besonderen Flair, den manche Großstädte haben wie z.B. London, Amsterdam oder Berlin. Das geht mir auch heute noch so. Damit will ich jedoch nicht sagen, Dublin wäre hässlich. Wenn mich jemand fragen würde „Wie findest du Dublin?“ wäre meine Antwort „Neutral“.
Ich war nicht lange unterwegs, denn ich war müde und hatte Hunger. Auf dem Rückweg kam ich an einer anderen Jugendherberge vorbei und wollte dort nach dem Preis fragen. Doch die nahmen wegen Überfüllung überhaupt niemanden mehr auf. Zurück auf meinem Zimmer traf ich auf die anderen Gäste: Frauen und Männer. Ich war überrascht, denn in einem streng katholischen Land trennt man normalerweise Schlafquartiere nach Männlein und Weiblein. So habe ich es zumindest in Spanien und sogar auch in Deutschland erlebt. Es gab drei Etagenbetten, ein Waschbecken und ein Klo. Die Gemeinschaftsduschen befand sich außerhalb des Zimmers den Gang runter. Nachdem ich eine Kleinigkeit gegessen hatte, legte ich mich ins Bett und schlief sofort ein. Mitten in der Nacht flog plötzlich die Tür auf und das Licht ging an! Im Zimmer stand ein junger Typ und glotzte. Ich war ziemlich sauer und sagte ihm, er solle sofort das Licht ausmachen! „Dann sehe ich doch nichts mehr!“ meinte er. „Das ist mir egal und wenn du jetzt nicht gleich das Licht ausmachst gibt es Ärger!“ erwiderte ich.Er putzte sich dann die Zähne im Dunkeln unter dem Licht seiner Kopflampe.
Am nächsten Morgen schnappte ich meine Gitarre und ab ging’s zur Grafton Street. Ich war ausgeschlafen, hatte ein gutes Frühstück und fühlte mich hervorragend. Das Wetter war warm und es schien die Sonne. Die besten Voraussetzungen für Straßenmusik. Ich hatte meine Dobro dabei, eine Blechgitarre, speziell gemacht für Straßenmusik. Laut aber schwer!Als ich so gegen 10.00 Uhr in der Grafton Street ankam, standen dort die Lieferwagen Schlange. Mir fiel auch auf, dass die Geschäfte keine Vordächer hatten so wie in den Fußgängerzonen bei uns in Deutschland. Wäre bei dem Wetter hier eigentlich sinnvoll, dachte ich. Es dauerte nicht lange und ich fand einen guten Platz, packte die Dobro aus und legte los. Die erste Nummer, die ich in Irland spielte war Wild World von Cat Stevens. Es dauerte auch nicht lange und ich bekam meinen ersten Euro von einer sehr netten Dame, die auch sofort wissen wollte, woher ich komme, wie ich heiße und wo es hingeht. So gegen 12.00 Uhr waren die Lieferwagen alle weg und es kamen mehr Leute. Es kamen auch mehr Straßenmusiker. Darunter waren auch Kinder. Jeder einzelne hatte einen Eimer dabei, stellte sich irgendwo hin, den Eimer vor sich auf den Boden und begann zu singen. Manche waren so laut, dass einem die Ohren weh taten. So wie der genau mir gegenüber. Ich suchte mir einen anderen Platz. Doch es wurde immer enger. An jeder Ecke stand mittlerweile ein Straßenmucker oder ein kleiner Schreihals mit Eimer!
So gegen 13.00 Uhr ging ich in ein Cafe. Als ich die Preise sah, wäre ich am liebsten wieder gegangen. Mir schwante jedoch, dass es woanders nicht unbedingt billiger sein würde, eher teurer. Ich bestellte ein Sandwich und eine Tasse Kaffee für rund 10 Euro. Draußen wurde es immer voller und vor allem lauter! Ungefähr alle zehn Meter spielte jetzt ein Straßenmucker. Da waren Puppenspieler, lebende Statuen, Pantomime Künstler, Theaterschauspieler, Straßenverkäufer, Bettler, Flugzettelausteiler. Ich kam mir vor wie auf einem Jahrmarkt. Nur die Eimer-Kids waren verschwunden. Ich dachte, vielleicht gibt es irgendwo eine ruhigere Fußgängerzone, denn in der Ruhe liegt die Kraft. Also lief ich weiter, raus aus der Grafton Street Richtung O’Connel Bridge, auf die andere Seite des Liffey, die O’Connel Street hoch zum Spire of Dublin.
Spire bedeutet u.a. auch Spitze. Und genauso sieht dieses Monument auch aus, wie eine riesige Nadel, die in den Himmel ragt. Der Spire of Dublin wurde im Jahr 2003 gebaut, besteht aus Edelstahl und ist 121,2 Meter hoch. Die konische Form hat an der Basis einen Durchmesser von 3 Metern und verjüngt sich zur Spitze auf 15 cm. Bei Tag reflektiert es das Licht in schillernden Farben. In der Abenddämmerung verschmilzt es mit dem Himmel und ist aus der Ferne betrachtet fast unsichtbar. Nachts wird es dann von unten angestrahlt und ragt wie ein leuchtendes Fanal über der City, like a Monument of light – wie ein Monument des Lichts. Ein faszinierendes Gebilde mit einigen Spitznamen, darunter auch Stiletto of the Ghetto.
Von dort aus geht es in die Henry Street, eine Einkaufsmeile mit Fußgängerzonencharkter. Nicht unbedingt ruhiger aber anders als die Grafton Street. Es gibt dort nämlich keine Straßenmusiker und das kam mir gerade Recht. Ich packte also meine Klampfe wieder aus und spielte ungefähr zwanzig Minuten als plötzlich ein Garda Polizist auftaucht. Es wäre hier verboten Straßenmusik zu machen, meinte er. Ich sollte in die Grafton Street gehen, das wäre genau der richtige Ort dafür. Also packte ich wieder ein und überlegte wohin. Da fiel mir Temple Bar ein. Ich ging also wieder den Weg zurück über den River Liffey und dann rechts am Fluss entlang.
Temple Bar erinnerte mich an Frankfurt Sachsenhausen. Auch hier gibt es kleine, schmale Gassen mit alten Gebäuden aus dem 19.Jahrhundert. Ein Pub reiht sich an den nächsten. Das Ganze ist ein Anziehungspunkt für Touristen, zumal es auch als das kulturelle Zentrum Dublins angepriesen wird. Am frühen Nachmittag waren die Pubs zwar schon offen aber es war noch nichts los. Trotzdem packte ich wieder die Dobro aus, denn in den Gassen liefen ja genug Leute rum. Kaum fing ich an zu spielen, tauchte plötzlich der Manager des Pubs vor dem ich stand auf und schaute mich böse an. Das hier wäre kein Platz zum busken (Straßenmusik), sagte er. Ich fragte ihn dann geradeheraus, ob ich nicht wenigsten eine Stunde hier stehen bleiben könnte. Immerhin wäre ja noch überhaupt nichts los und es würde auch keinen stören. Da wurde der Typ total nett und sagte, das ginge in Ordnung. Wenigstens etwas, dachte ich und machte weiter. Es dauerte nicht lange, da stand auf einmal wie aus dem nichts wieder so ein Eimerkind direkt mir gegenüber und fing an zu plärren! Ich dachte, das darf doch wohl nicht wahr sein! Hinter mir kam der Manager mit einem seiner bouncer (Rausschmeißer) wieder zum Vorschein. Ich hörte gerade noch wie der bouncer fragte, was ich denn hier soll. Das wär schon in Ordnung, meinte der Chef, es wäre ja nur für eine Stunde. Das Eimerkind beachteten sie überhaupt nicht, obwohl es sich die Seele aus dem Leib schrie. Ich sollte erst viel später erfahren, dass diese Plagegeister Kinder der Irisch traveller-comunity waren.
Ich zog die Stunde durch. Der kleine Plagegeist war auf einmal wieder verschwunden. Es wurde mittlerweile 15.00 Uhr und ich musste mir einen neuen Platz suchen. Doch diesmal war ich ratlos. Ich hatte überhaupt keinen Ahnung wohin ich gehen sollte! Zum x-ten Male lief ich über die O’Connel Bridge. Ich wollte zurück in die Jugendherberge und mir überlegen was ich mit dem Rest des Tages anfangen sollte. Vielleicht könnte mir ja irgendjemand dort einen Tipp geben, wo man sonst noch Straßenmusik machen könnte. Ich war gerade auf halben Weg Richtung Spire, als ich plötzlich vor dem Eingang eines großen Einkaufszentrums stehen blieb. Da war jede Menge los. Leute liefen mit Einkaufstüten die Treppe hoch und runter. Manche saßen auf der Treppe rum und ließen es sich gut gehen. Das ist genau die richtige Stelle, dachte ich. Komisch nur, dass mir die nicht früher aufgefallen war. Schließlich bin ich hier ein paarmal schon vorbeigelaufen. Ich setzte mich auf die Treppe, legte los und spielte bis 18.00 Uhr. Die Reaktion der Leute war grundsätzlich positiv. Es herrschte zwar keine Begeisterung aber es war auch niemand feindseelig mir gegenüber. Ich fühlte mich wohl. Vor uns brauste der Straßenverkehr, Leute hatten Feierabend und gingen nach Hause. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Ich hatte zwar Mühe mich in dieser Geräuschkulisse durchzusetzen, doch man ließ mich gewähren. Außerdem gab es keine Konkurrenz.
Zurück in der Jugendherberge ging ich erst mal zur Rezeption, um eine weitere Nacht zu buchen. Diesmal saß dort ein Inder oder Pakistani. Es war auf jeden Fall kein Ire. Ich sagte, ich würde gerne noch eine Nacht bleiben.„No problem“, meinte er, „das kostet 17 Euro“. Ich schaute verdutzt drein und sagte ihm, dass ich gestern für das gleiche Bett 25 Euro bezahlt hätte! Da fing er an zu grinsen und schüttelte den Kopf.
„Im dorm kostet jedes Bett 17 Euro, nicht mehr und nicht weniger“, erwiederte er.
Für ihn war die Sache damit erledigt. Ich ging hoch auf mein Zimmer und war stinksauer. Da hat mich dieser Typ gestern doch glatt übers Ohr gehauen! So eine verdammte Scheiße! Das nächste Mal lasse ich mir die Preisliste zeigen, dachte ich. Nochmal passiert mir das nicht! Ich setzte mich auf mein Bett und fing an das Geld zu zählen, das ich den ganzen Tag über verdient hatte. Es waren genau 20 Euro! Ich wunderte mich nicht. Das war Typisch für eine Großstadt. Viel Hektik und Stress, dafür wenig Geld. Trotzdem war es schon krass. Da bin ich den ganzen Tag mit der schweren Dobro durch die Gegend gelaufen und habe mir den Arsch abgespielt für 20 Euro! Das kann’s ja wohl nicht sein, dachte ich. Wenn ich noch länger hier bleibe, gebe ich mehr Geld aus als ich verdiene! Da wurde mir klar, dass ich am nächsten Tag Dublin verlassen würde. Ich nahm meine Landkarte und suchte mein nächstes Ziel. Es war Wexford.

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