Montag, 27. Mai 2013

Konstantin Wecker

Liebe Freunde,
Einer der berühmtesten US-amerikanischen Richter in der Geschichte des Supreme Courts, Louis Brandeis, sagte einmal: “Wir müssen wählen. Wir können eine Demokratie haben, oder wir können eine Konzentration von Reichtümern in den Händen einiger Weniger haben, aber wir können nicht beides haben.“
Wie es aussieht, haben wir bereits gewählt. Wir haben uns wohl entschieden, lethargisch diese Konzentration von Reichtümern in den Händen einiger Weniger hinzunehmen. Wir haben uns, wie es aussieht, entschieden, nichts dagegen zu unternehmen. Uns nicht zu wehren. Es über uns ergehen zu lassen. Und damit haben wir uns mehr oder weniger dazu entschlossen, unsere demokratischen Rechte nicht mehr wahr zu nehmen.
Immer wieder werde ich gefragt, ob ich denn vielleicht nur neidisch sei auf die Superreichen, ob ich ihnen ihr hart erarbeitetes Geld nicht gönnen würde.
Von mir aus kann jeder gerne Millionär sein und eine Villa haben und wenn es sein muss auch so ein nutzloses Fahrzeug wie einen Ferrari. Aber wenn sich der Reichtum in den Händen weniger so ballt, dass wir nur noch zu Statisten des Weltgeschehens werden, dann schwillt mir der Kamm. Und das ist kein Neid, Freunde, sondern Angst. Angst vor der Art Faschismus, die nicht in Braunhemden durch die Straßen marschiert, sondern sich hinter der Maske Demokratie verbirgt. Vor den Diktatoren der Wall Street, die mit einem Achselzucken die Wirtschaft eines Landes in den Ruin treiben können, Angst vor den faschistoiden Zockern, deren Rassismus bedenkenlos ein Drittel der Menschheit über die Klinge springen lässt, wenn sie irgendwann nicht mal mehr als RTL2 gehirngewaschene Konsumenten taugen.
Es ist nicht nur die Wut über soziale Ungerechtigkeiten, die mich zittern lässt, sondern die tief in mir sitzende Furcht unserer Demokratie verlustig zu werden.
Die Familie Walton, der die Supermarktkette Walmart gehört, hat soviel Geld angehäuft, wie die 48 800 000 ärmsten Familien der USA zusammen besitzen.
Selbst wenn man bedenkt, dass die amerikanische politische Kultur eher auf Chancengleichheit, als auf Ergebnisgleichheit beruht, muss jedem halbwegs empathischen Menschen bei diesen Zahlen die Zornesröte ins Gesicht steigen.
Denn auch ein System, das auf Chancengleichheit beruht, ist doch nur so lange legitim, solange die Menschen glauben können, dass sie selbst und ihre Kinder gute Aussichten haben voranzukommen, wenn sie hart arbeiten und ihr Bestes geben, und wenn sie „gute Gründe haben, anzunehmen, dass die Reichen auf dem Weg zum Reichtum die Spielregeln eingehalten haben.“ Das ist kein linkes Pamphlet, das schrieb der extrem konservative Intellektuelle Francis Fukuyama.
Haben sie die Spielregeln eingehalten? Hat der von der Boulevardpresse umworbene Milliardär Carsten Maschmeyer irgendwelche Spielregeln eingehalten? Und der ist beileibe nur pars pro toto.
"Keine Staatsform bietet ein Bild hässlicherer Entartung, als wenn die Wohlhabendsten auch für die Besten gehalten werden“ (Cicero, 106 – 43 v. Chr.)
Wir sind an diesem Punkt hässlicher Entartung schon lange angelangt. Um das zu sehen, genügt ein Blick in unsere Medienwelt.
Serge Hamili, Editorial Director der „Le Monde diplomatique“, schreibt in seinem unbedingt lesenswerten Essay „der wahre Skandal“:
„Wahre Demokratie gibt sich eben nicht mit der Einhaltung der Form (wie freie und geheime Wahlen) zufrieden. Zur Demokratie gehört mehr als eine Stimmabgabe, die nichts verändert; zur Demokratie gehören auch Leidenschaft, politische Bildung, politische Kultur, das Recht, Rechenschaft zu verlangen, und das Recht, die Gewählten abzuberufen, wenn sie ihren Auftrag verraten.“
Wir dürfen nicht aufgeben und uns nicht hinter Zynismus verschanzen. Wir müssen uns vernetzen und jede und jeder auf seine Art, nach seinen Möglichkeiten und Vermögen am Ball bleiben. Empören wir uns, denn was wir geboten bekommen ist mehr als empörend. Lassen wir uns nicht von einer sogenannten Elite das Fell über die Ohren ziehen, beschweren wir uns bei unseren örtlich greifbaren Politikern, lasst uns wieder auf die Straße gehen, gründen wir Initiativen und versuchen wir dieses kostbarste politische Gut, das wir im Laufe unserer blutigen Menschheitsgeschichte erringen konnten, für das unzählige vor uns ihr Leben lassen mussten, die Demokratie, uns wieder anzueignen. Denn sie gehört uns und nicht einer kleinen Gruppe von Menschen, die glauben, uns als dummes Stimmvieh im Griff zu haben.
Ich bin dabei!
Konstantin Wecker

http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/05/10.mondeText1.artikel,a0011.idx,0
Das Problem der Deutschen in Deutschland: es geht ihnen immer noch zu gut.

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